Viele Wirtschaftszweige haben sich durch die Digitalisierung in den vergangenen Jahren stark verändert. Doch was genau bedeutet das auf lange Sicht für das Qualitätsmanagement? Wie wichtig dabei auch Agilität und Teamwork sind, erklärt Dr. Mag. Anni Koubek, Fachautorin und Prokuristin bei Quality Austria.

Wir leben in einer beschleunigten Welt. Oft wird sie auch als „vuka“-Welt bezeichnet: volatil, unsicher, komplex und ambivalent. Die fortschreitende Digitalisierung verändert radikal die Wirtschaft und unser aller Leben. Für gewöhnlich können wir uns an Veränderungen gut anpassen. Zurückschauend gibt es PCs erst seit knapp 40, GPS gesteuerte Navigationsgeräte seit etwa 30 und Smartphones erst seit gut 20 Jahren. Unser heutiger Alltag, den wir mit „Apps“ steuern, die Einkäufe bequem von zu Hause erledigen und die unsere berufliche Zusammenarbeit über weltweite Web-Meetings gestalten, basiert auf Erfindungen und veränderten Produktions- und Betriebsstrukturen der jüngsten Vergangenheit.

Digitalisierung ist kein neuer Trend – wir sind mitten drin in einer Veränderung, die in den Branchen und Gesellschaftsbereichen unterschiedlich weit fortgeschritten ist. So sind E-Commerce oder digitale Bearbeitungszentren in der Produktion schon länger Stand der Technik. Entsprechend haben sich diese Wirtschaftszweige verändert. Aufgrund neuer Technologien sind neue globale Unternehmen entstanden, andere Marktführer innerhalb kurzer Zeit verschwunden.

Digitalisierung ist auch kein Trend, der sich auf wenige Branchen beschränkt. Alle Branchen sind betroffen. Zu stark verändern sich die Möglichkeiten, sei es in der Produktion (beispielsweise Individualisierung, 3D-Druck), in der industriellen Fertigung (Smart Factory, automatisierte Wartung) sowie für Geschäftsmodelle (Product Service Systeme, Condition Monitoring) der Dienstleistungserbringung (Automatisierung, Bots) oder der Vertriebswege.

Der Wandel beschleunigt sich

Derzeit deutet nichts darauf hin, dass sich dieser Trend verlangsamt. Immer noch steigert sich die Leistung von Computern exponentiell bei gleichzeitiger Senkung der Kosten (Moores Law). Damit werden Technologien möglich, die wahrscheinlich noch stärkere Veränderungen in unseren privaten und beruflichen Alltag bringen, als wir in den vergangenen 20 Jahren gesehen haben. Wie bei jedem exponentiellen Trend beginnen die Entwicklungen schleichend – die ersten neuen Wettbewerber zahlen teures Lehrgeld und es scheint sich gar nicht viel zu verändern. Wenn dann die Lösungen reif sind, erfolgen die Marktentwicklungen sehr schnell und es kann für Nachzügler schon zu spät sein. Innerhalb dieser veränderten Rahmenbedingungen müssen wir die Art, wie wir Qualität sicherstellen, weiterentwickeln. Denn genauso wie Digitalisierung verschiedenste Formen annimmt, so müssen auch QM-Systeme ihre neuen Schwerpunkte unterschiedlich setzen.

Was das für die Produktion bedeutet

Besonders in der Produktion hat die Digitalisierung hohe Auswirkungen. Bestehende Automatisierungsbestrebungen müssen beschleunigt umgesetzt, Produktion und Logistik noch besser vernetzt werden. Automatisierte Systeme, die individuelle Produkte herstellen, ermöglichen und erfordern einen neuen Zugang zur Produkt- und Prozessqualität. Die Optimierung von Prozessen durch klassische Prozess-fähigkeitsanalysen basierend auf cp- und cpk-Werten verliert bei Kleinstserien, bei denen statistische Kennwerte nicht sinnvoll verwendet werden können, an Bedeutung. Qualität wird hier bereits in der Entwicklung getestet und simuliert. Die Zusammenarbeit von Qualitäts- und Innovationsabteilungen, die in der Vergangenheit oft nur wenige Berührungspunkte hatten, ist dazu ein Schlüsselfaktor.

Social Media nutzen, um Kunden zu verstehen

Im Umgang mit Konsumenten sind soziale Medien ein Schlüsselthema der Digitalisierung. Soziale Medien mit ihren vorhandenen Daten geben neue Möglichkeiten, um Kundenverhalten, Kundenzufriedenheit und Kundenbegeisterung zu messen und zu verstehen. „Rückmeldungen von Kunden“, bisher oft auf das Thema Beschwerdemanagement und Befragungen reduziert, erhalten eine neue Bedeutung. Nur wer seine Kunden versteht und die sich ständig ändernden Wünsche und Anforderungen erkennt, wird zielsicher und erfolgreich agieren können. Mit diesem Thema sind auch Fragen der Datensicherheit und ethische Fragen verbunden: Wie weit dürfen und wollen wir unsere Kunden verstehen? Wie weit akzeptieren Kunden personalisierte Produktvorschläge, die ihr Verhalten besser replizieren, als sie es selbst verstehen?

Im „Internet of Things“ werden Produkte zu Hause mit dem 3D-Drucker produziert, der Herstellungsprozess selbst liegt nicht mehr in der direkten Kontrolle der Unternehmen. Produktion mutiert damit zur (Software-) Entwicklung mit Finite-Element-Simulation, verkauft wird ein Software-Code. Das bedeutet, dass zunehmend auch Methoden der Software-Entwicklung und Software-Qualitätssicherung Einzug in weite Bereiche der produzierenden Wirtschaft halten werden. Der Einsatz von agilen Methoden, automatisierten Testverfahren oder iterativen Entwicklungszyklen sind typische Ansätze, die das Methodenrepertoire der Qualitätsabteilungen ergänzen sollten.

Der Mensch im Hightech-System

IT-Systeme automatisieren zunehmend auch Büro-Routineprozesse und Routineentscheidungen. Die Frage ist nicht mehr, ob IT-Systeme eingesetzt werden, sondern wie gut sie integriert sind. Die gleichen Aufgaben, die ein Qualitätsmanager für die Organisation übernommen hat, stellen sich nun auf IT-Seite. Wie spielen IT-Systeme in den Prozessen zusammen? Prozessleistung ergibt sich auch aus den Faktoren automatisierte Schnittstellen, Datensicherheit und Datenintegrität. Datenintegrität ist dabei kein primär technisches Thema, sondern geht über die logische Korrektheit und Gültigkeit von Daten über verschiedene Anwendungen hinaus. Gleichzeitig braucht es Menschen, die diese Produkte, Dienstleistungen und Prozesse entwickeln, umsetzen und beherrschen. Um diese komplexen Hightech-Systeme zu entwickeln, ist das Know-how von Einzelnen und einzelnen Unternehmen meist nicht ausreichend. Entsprechend wird es immer wichtiger, in Teams und über Unternehmensgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten.

Viele der Grundprinzipien des Qualitätsmanagements wie Kundenorientierung oder Führung bleiben weiterhin wesentlich für den Erfolg. Die ISO 9001 Revision hat mit den Themen Kontext, risikobasiertes Denken und Veränderung bereits erste Meilensteine für die vuka-Zukunft gelegt.

Darüber hinaus sollten Unternehmen zumindest in folgenden drei Bereichen prüfen, ob ihr Qualitätsmanagement für die aktuellen Herausforderungen gewappnet ist:

1.   Ist das Qualitätsmanagement im Unternehmen digitaler Vorreiter oder Nachzügler?

Unternehmen arbeiten daran, ihre IT-Systeme zu vernetzen und Datenintegrität sicherzustellen. Dies gilt nicht nur für die operativen Kernprozesse, sondern für alle Bereiche des Unternehmens und über die gesamte Lieferkette hinweg. Im Qualitätsmanagement findet man in Bezug auf Digitalisierung in der Praxis ein breites Spektrum: In manchen Unternehmen sind die qualitätssichernden Tätigkeiten und Methoden (Lieferantenbewertungen, FMEAs, Korrekturmaßnahmen, Maßnahmenlisten, Prüfplanungen, Arbeitsanweisungen etc.) digital und in die Kernprozesse integriert. Andere bauen auf spezifische CAQ-Systeme, und noch bei vielen gibt es Stand-alone-Anwendungen oder auch isolierte Tabellen oder Textvorlagen. Je komplexer das Unternehmen, umso aufwändiger ist es, den Überblick über die verschiedensten Einzelmaßnahmen zu behalten, die Umsetzung zu verfolgen und die Ergebnisse zu verstehen. Je näher die Qualitätssicherungs- und Verbesserungsaufgaben am Kerngeschäft sind – auch im Sinne der IT-Integration – desto höher die Aufmerksamkeit der Betroffenen.

2.   Fördert das Qualitätsmanagement Agilität?

Die beschleunigte, digitale Welt bietet vielfältige Chancen, die zielgerichtet wahrgenommen werden sollten. Entwicklungszyklen für Produkte und Dienstleistungen werden kürzer, immer mehr Produkte beinhalten Softwareanteile, und es ist zunehmend wichtiger, individuelle Lösungen für Kunden bereitzustellen. Oft ist das Ziel am Anfang eines Projektes noch nicht klar. Der Lösungsraum enthält so viele Möglichkeiten, dass der Kunde keine klare Vorstellung von der Ideallösung hat. Es ist erforderlich, gemeinsam im Team gegenseitiges Verständnis für Aufgaben, Zukunftsvisionen und technische Lösungsmöglichkeiten zu schaffen. Dies gilt aber nicht nur bei Produkten für Kunden, sondern auch für interne Prozesse und Methoden, insbesondere wenn diese IT-gestützt sind.

Die Softwareindustrie hat schon vor über 20 Jahren veränderte Entwicklungsmethoden (vgl. das agile Manifest) gestartet, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Im Qualitätsmanagement werden diese Methoden noch wenig verwendet. Oftmals bedeutet Planung fixe, wasserfallartige Projektstrukturen, sind Zielveränderungen oder Niederlagen nicht vorgesehen, Nutzer und interne Kunden sind wenig eingebunden. Indikatoren, welche die Aufgabenerledigung in den Vordergrund stellen, können den Effekt noch verstärken. Hier sollten Qualitätsmanager die neuen Werkzeuge annehmen, um diese situativ in der Gestaltung der Systeme einsetzen zu können.

3.   Ist Qualitätsmanagement eine Team-Aufgabe?

In einem komplexen Arbeitsumfeld mit laufend neuen Anforderungen ist es unwahrscheinlich, dass eine einzelne Person alle Aspekte gut abdecken kann. Qualität für Kunden herzustellen ist eine komplexe Aufgabe. Entsprechend ist Kreativität, das Arbeiten in Teams und Arbeiten über Unternehmensgrenzen hinweg zunehmend wichtig. In diesen Teams werden Rollen entsprechend der Aufgabe wahrgenommen. Eine starre hierarchische Struktur, in der Entscheidungen an oberster Stelle und nicht an der kompetenten Stelle getroffen werden, wirken dabei als Bremsklotz. Für komplexe Gestaltungsthemen im Qualitätsmanagementsystem ist gemeinsame, kreative Arbeit der Prozessbeteiligten erforderlich. Derartige Projekte können nicht per Workflow in Einzelaufgaben zerlegt werden. Entsprechend sollte die Funktion des Qualitätsmanagers gut in die wertschöpfenden Prozesse integriert sein. So kann er Innovationen und Veränderung im Unternehmen unterstützen und absichern.

Qualität muss systematisch verankert sein

Es braucht ein gutes Verständnis, um zu entscheiden, was Qualitätstätigkeiten und was Routinetätigkeiten sind. Routine sollte zunehmend computerunterstützt abgewickelt werden, um Prozesssicherheit zu gewährleisten. Für Gestaltungsthemen allerdings braucht es Agilität und Kreativität im Team. Zusammengefasst bringt die Digitalisierung einige Herausforderungen für das Qualitätsmanagement – und abhängig von Branche, Lieferkette und Wettbewerbssituation müssen Qualitätsmanager auf diese Herausforderungen eingehen. In vielen Unternehmen müssen Methoden und Werkzeuge ergänzt oder weiterentwickelt werden. Das heißt aber nicht, dass Qualitätsmanagement obsolet wird – im Gegenteil. Gerade in einem Zeitalter der individualisierten Kundenangebote, kurzen Innovationszyklen und der Vielfalt der digitalen Möglichkeiten ist es wesentlich, dass Qualität – also die Erfüllung der vielfältigen, komplexen Anforderungen – systematisch in der Organisation verankert ist. Dazu braucht es Qualitätsmanager, die sowohl die klassischen Methoden beherrschen, als auch die Chancen der Digitalisierung nutzen können.

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